Arbeiten auf Disneyland

Septemberalltag auf einer Insel –

ganz leise und allmählich gehen die Gästezahlen zurück.

Unter mir ist es wieder ruhig geworden. Die Handwerker meines Vermieters haben ihren Auftrag zu Ende gebracht.

Tatsächlich hatten wir in der letzten Zeit einige ‘südliche’ Tage.

Dennoch das Licht hat sich deutlich geändert.

Am Himmel ziehen wieder mehr Wolken –

und im Gras des Oberlandes findet sich mehr und mehr Abgeblühtes.

Wenn ich jetzt morgens aufstehe, ist es noch dunkel. Ich schaue dem werdenden Tag mit einer Tasse Kaffee zu, bis es Zeit ist, sich für die Schule fertig zu machen.

Auch auf dem Vogelfelsen schließt sich langsam der Zyklus:

Die Jungen sind fast flugreif.

Der eine oder andere probiert sich schon aus.

Und der Wind, der die Basstölpel bald raus auf’s offene Meer ziehen wird, hat wieder zugenommen.

Jetzt fallen sie nicht mehr einfach -plumps – neben ihre Niststelle (die Basstölpel sind nicht gerade bekannt für elegante Landemanöver ;-)).

Sie stehen wieder vorher einen kurzen Moment im Wind.

Gestern habe ich zwei Päckchen an Freunde und Familie losgeschickt und gemerkt, dass ich lange nicht beim Zoll war.

Jetzt muss man ALLES verzollen – auch selbst gestrickte Socken für eine Freundin. Uiih!

Der junge Mann, der diese Richtlinie umsetzen musste, war geduldig mit meinem offenen Unwillen. Während des ganzen Hin- und Hers – Zettel ausfüllen, Wertangaben machen, Gebühren ausrechnen – schaut er mir irgendwann in die Augen und sagt: “Glauben Sie, dass mir das Spaß macht?” –

Ich blicke in ein zartes Vollmondgesicht und freundliche Augen. “Nein”, ich schüttele den Kopf. “Tut’s auch nicht”, antwortet er – und jetzt habe ich langsam Mitgefühl mit ihm und denke an die Unsinnigkeiten, die ich schon in meinem Job machen musste.

‘Okay’, denke ich, während mein Gegenüber mir erklärt, dass das Ganze auf eine neue Bestimmung vom 1.07. zurückgeht, nach der tatsächlich ALLES verzollt werden muss, ‘ich zahle dann halt zweimal Mehrwertsteuer’. Denn ich gehöre nicht zu denen, die bei jeder Rechnung die Befreiung von derselben geltend machen.

Später hole ich mir eine Frustzigarette bei einem Bekannten, dessen Geschäft auf meinem Heimweg liegt. Ich muss die neue Story doch erstmal loswerden.

Dann kommen Kunden. Ich verabschiede mich: “Ich geh’ mal. Du musst jetzt arbeiten.” – Die Kunden lachen sich halb kaputt. “Aaarrrbeiten?” –

“Ja”, sage ich, “arbeiten. Hier leben ganz normale Menschen, die arbeiten, damit Sie hier Urlaub machen können.” –

Liebe Helgoland-Gäste,

Helgoland ist kein Disneyland. Es ist ein kleiner Fleck im Meer – einer der abgefahrendsten Orte der Welt. Ein paar Verrückte leben hier, weil es hier tatsächlich schön ist, auch wenn ihr nicht da seid.

Das Leben hier ist nicht easy-peacy, wie es sich von außen darstellen mag. Hinter jeder Leichtigkeit steckt Übung und viel Erfahrung. So ist es auch hier:

Jedes Bett, das frisch gemacht ist, wurde von jemandem hergerichtet.

Jedes schön angerichtete Menu hat jemand vorher zubereitet.

Jeder locker erzählte Geschichte Helgolands wurde in langen Stunden zusammengelesen, geistig verdaut, um sie später einer Gästegruppe zu präsentieren.

All die dienstbaren Geister, die ihr nicht seht, arbeiten dafür, dass Gäste auf Helgoland urlauben können. – Und nach der Arbeit schlurfen sie nach Hause,

essen etwas, sind noch in Familie oder vor dem Fernseher, fallen ins Bett –

oder zünden noch eine Kerze an.

Mission Improbable

Natürlich ist Helgoland der schönste aller denkbaren Wohnorte. Sonst würden wir ja nicht hier leben wollen.

Trotzdem gibt es hier auch spezielle Probleme und ich meine jetzt nicht eine gewisse Tendenz zu Schietwetter im Winter, Inselschnack ganzjährig oder die Trinkwasserpreise.

P1050799-2

Nein, es geht um Weihnachtspakete. Genauer gesagt, die Pakete für Fe’s Söhne. Wenn wir hier Pakete versenden wollen, müssen wir nicht nur zur Post, sondern auch zum Zoll. Praktischerweise residieren die im gleichen Gebäude.

Denn Helgoland gehört zwar zum deutschen Wirtschaftsgebiet (also haben wir den Euro und auch diverse deutsche Steuern), nicht aber zur europäischen Zollunion. Also führen wir mit den Weihnachtspaketen Waren in die Union ein (auch wenn wir sie vorher auf dem Festland gekauft haben). Und diese Waren müssen bei der Einfuhr verzollt werden.

Es gibt eine Freigrenze. Die liegt bei 22 Euro. Zwei-und-zwanzig. Das sollte ich nach sechs Jahren eigentlich wissen. Andererseits lebt Fe erst seit eineinhalb Jahren hier und in der Vergangenheit verlief die Zollabfertigung meistens eher so:

Ich: Hallo.

Zollbeamter: Na, Weihnachtsgeschenke?

Ich: Jau.

Zollbeamter: *Klebt einen Abfertigungsaufkleber aufs Paket* Na denn, frohe Feiertage!

(Bevor hier ein falscher Eindruck entsteht: Das klappt nur einmal pro Jahr. Vorzugsweise im Dezember.)

Inzwischen haben wir aber neues Personal beim Zoll.

Ich: Hallo. Hab hier zwei Weihnachtspakete.

Zollbeamter: Was ist da drin?

Ich: Bisschen Schokolade, zwei Bücher…

Zollbeamter: Nein, nein, ich brauche den Warenwert. Über 22 Euro?

Ich: Äh. Glaube schon.

Zollbeamter: Dann geht das so nicht. Ich brauche die Kaufbelege als Nachweis.

Ich: *Schleife die Pakete wieder nach Hause und krame dann nach den diversen Zetteln*

Am nächsten Tag:

Ich: Hallo, ich hab jetzt die Belege. Und eine Liste über den Gesamtwert.

Zollbeamter: Das wird aber teuer. Teurer als der ganze Inhalt.

Ich: Äh. Wie teuer denn?

Zollbeamter: *Rollt die Augen* Aaach, das ist sehr kompliziert zu berechnen.

Ich: Auweia.

Zollbeamter: Geben Sie’s doch jemand mit, der aufs Festland fährt.

Ich: Und das ist erlaubt?

Zollbeamter: Na klar. Das ist dann persönliches Reisegepäck. Das geht bis 430 Euro.

Ich: *Seufz*

Also klappere ich Freunde und Bekannte ab. Keiner hat Reisepläne für die nächsten Tage. Ein paar Tage später fahre ich dann selbst mit dem Schiff nach Cuxhaven.

Es ist Vollmond. Und Winter. Da wird es um vier Uhr nachmittags dunkel.

P1060662

Cuxhaven sieht aus wie… Cuxhaven.

P1060663

Auf der Post brauche ich zwei Minuten und 18 Euro.

P1060664

Und dann fahre ich wieder zurück.