Youngster

Der erste Tag in Socken und festen Schuhen –

noch kann man draußen eine Weile sitzen – auch wenn die Erde nicht mehr so viel Wärme spendet.

Am Horizont liegen wie Geisterschiffe die Containerfestungen, die auf den Ruf aus Hamburg warten.

So spart man Geld, denn die Außenreede vor Helgoland kostet nichts.

Ganz zart ein Silberstreif am Horizont – ganz zart auch der Strahlenmantel, den der eigenartige Stern wirft, den wir Sonne nennen.

Die jungen Basstölpel vertreten sich die Füße. Es scheint auch unter Jungvögeln außerhalb des Nestes interessanter zu sein als bei den Alten.

Und die Flügel wollen probiert werden. Auch die geistigen….

In der Schule denken wir gerade über Sprache nach.

J. hat seine Stirn in Falten gelegt und brütet über Nomen.

Ich: “Worüber denkst du gerade nach?”

J.: “Also ‘Kapitän’. – Das sind ja immer Menschen. Aber ‘Kapitän’ ist ja auch was, was sich Menschen ausgedacht haben. In welche Spalte gehört das jetzt?”

Ich: “Welche Spalten kommen denn für dich in Frage?”

J zeigt auf die Spalte ‘Lebewesen’ und die Spalte ‘Gedanken’.

Ich: “Prima. Schreib’s in beide Spalten.”

Der letzte Sommervollmond rundet sich gerade – und ist schon so herbstlich wie …..

I wish ……

Mar y Sol

Klippenrandweg – ein absolutes Muss für jeden Besuch auf Helgoland …..

Wir gehen abends los – und meine Schwester findet eine weitere Liebe, den Abend an der Langen Anna.

Das Schauspiel beginnt …. tata …..

immer gleich – und immer anders.

Während meine Schwester auf Fotosafari geht

schaue ich auf meinem Platz dem Leben zu.

Viel Verkehr auf der See – auch andere schauen in die Sonne, nur 40 m weiter unten.

Ich bekomme Schnuckenbesuch.

Derweil macht die Sonne, was sie immer macht …..

Ich zitiere meiner Schwester Heinrich Heine:

Das Fräulein stand am Meere

und seufzte lang und bang.

Es rührte sie so sehre

der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! Sein Sie munter

es ist ein altes Stück;

Hier vorne geht sie unter

und kehrt von hinten zurück.”

Und wir grinsen uns an – und geben uns der Schönheit des Anblicks hin –

und ja – mich rührt es jedes Mal an.

Mar y Sol – es ist zum Niederknien.

Wolken wandern über den Himmel ….

wie Seelen über die Zeit. So ähnlich – ist dies ein Zitat aus einem meiner Lieblingsfilme.

Definitiv ein Lieblingsfilm, denn ich bin nicht so oft bereit, einen Film drei-, vier-, fünfmal zu sehen.

Er heißt ‘Cloud atlas‘. Seine Themen sind ……Liebe und Tod, Gemeinheit und Gewalt in einer räuberischen Welt, ihre Rettung durch Güte und Überwindung von Unterdrückung.

Was das mit Helgoland zu tun hat? – Nichts – und alles.

Schaut hin,

hört zu…….

und genießt.

…und es lohnt sich auch den Roman zu lesen ;-)

Welcome to our garden

Es hat in D. viele Gärten – man kann Tage in ihnen zubringen.

Man findet getriebene Dichter

eigenartige Haine –

verträumte Künstler –

inspirierte Architekten –

blühende Zitronenbäume –

legendenumwobene Türme –

Himmel –

und einen verwunschenen Garten.

In ihm leben alte und junge Götter

Schwestern –

und andere Wesen.

Kein römischer Brunnen empfängt dich …

dort fließt ein kleiner Bach …

im Teich spiegelt sich die Welt.

…. Erinnerungen an einen anderen Garten, wo wir uns trafen, steigen auf….

Namasté

Schönwettergedanken

Schönes Wetter heute.

Von der Düne rollt eine Nebelbank auf die Hauptinsel zu. Wenige Minuten später hüllt sie den Leuchtturm im Oberland ein.

Hmm, können wir vielleicht nochmal das Bild von vorvorgestern abends haben? (*Klick* *Klick* *Klick*)

Na bitte. Geht doch.

Aber mit dem Begriff “schönes Wetter” hat es hier ja eine eigene Bewandtnis. Das weiß ich von einem unserer Handwerker, der beruflich häufig auf den Hausdächern herumklettert, also ein Experte.

Schönes Wetter ist nämlich auch dann, wenn der Regen von oben nach unten fällt anstatt von links nach rechts oder umgekehrt. Oder in der Nähe der Steilklippe auch mal von unten nach oben.

Also:

Die ganze letzte Woche hatten wir schönes Wetter. In der Woche davor ging es ja etwas stürmischer zu. So stürmisch, dass der Wellenschlag im Wattenmeer das Helgolandkabel demolierte. Daraufhin gingen zwar nicht alle Lampen aus auf dem Felsen (yay!), aber ab Freitagnachmittag begann die Internetverbindung mehr und mehr zu bröseln, um sich dann für den Rest des Wochenendes komplett frei zu nehmen (buh!).

Das war dann sensationell genug, um es auf die Nachrichtenseiten des Spiegel und der Tagesschau zu schaffen.

Habe ich schon mal erwähnt, dass das Leben im Inselwinter meist eher sensationsarm ist?

Da gibt es dann Schönwettertage, an denen die Auftragsbörsen für Autoren- oder IT-Jobs praktisch leergefegt sind, es sei denn man möchte einen superinformativen Unique-Content-Text von mindestens 2.500 Worten über Wackelpudding schreiben. Waldmeister, um genau zu sein. Und positiv, mit Kaufanreiz.

Es gibt auch Tage, an denen ich dann doch wieder zuviel auf Newstickern herumklicke und durch die Pandemie-Dauerberieselung einen Anfall von “drowning by numbers” bekomme.

Als wären die Infektions- und Todeszahlen nicht schon gruselig genug, sind sie merkwürdigerweise nie (?) ins Verhältnis zur Einwohnerzahl eines Landes gesetzt. Also habe ich meine Mathekenntnisse aus der siebten Klasse wieder ausgegraben und mit Stift und Papier einen Dreisatz ausgerechnet.

Und, weil so schönes Wetter war, gleich einmal in eine Tabellenkalkulation eingetragen.

Bestimmt ist dieser Ansatz auf mindestens zwölfeinhalb Arten und Weisen zu platt. Oder möglicherweise wären in Deutschland gut 50.000 Menschen mehr gestorben, wenn die Dinge so gelaufen wären wie in den USA.

Hm.

Übrigens sind die Zahlen in der Tabelle schon über eine Woche alt. Nein, ich aktualisiere sie nicht täglich. Das ist doch auch irgendwie eine gute Nachricht.

Stattdessen gehe ich mit Fe an den Nordost-Strand und sammle Strandglas.

Das ist gut für die Umwelt, denn eigentlich ist das Jahrzehnte alter Glasmüll, den die Nordsee glattgeschliffen hat. Außerdem sieht es schick aus, wenn man ein Marmeladenglas damit füllt und von unten beleuchtet.

Tja. Schönes Wetter heute. Wieder einmal.

Fertsotzung felgt

(Ich habe in der Überschrift drei Tippfehler versteckt. Wer sie zuerst findet, darf sie behalten.)

Heute habe ich die Steinschlange besucht und sie ist wieder länger geworden. Anscheinend haben auch die meisten Gäste verstanden, dass die Einladung nicht darin besteht, Steine mitzunehmen, sondern selbst welche hinzuzufügen.

Ich bin ja ein wenig nahe am Wasser gebaut. Jedesmal, wenn ich erlebe, wie viele verschiedene Menschen es gibt, was für verschiedene Dinge ihnen durch den Kopf gehen und was sie ohne eigenen Vorteil daraus machen, fange ich an, die Brille abzunehmen und mir im Gesicht herumzurubbeln. Da muss man sich dann aber keine Sorgen machen.

Insofern: Bühne frei für die Steinschlange! Was haben wir denn heute?

Bedienungshinweise für die Steinschlange, Schutzengel, Zebrafische, kleine Seeungeheuer, Weisheiten, Regenbögen und jemand macht sich offenbar Sorgen, weil die Stones ja auch nicht mehr die Jüngsten sind.

Und ein Stein für George Floyd.

Die Steinschlange

Es ist Sonntag und wir gehen die Basstölpel besuchen. Aaach, denkt ihr vielleicht, die hatten wir doch letzte Woche schon.

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Aber sorry, sie werden nicht langweilig. Sie sind einfach hier. Und nach dem ganzen Krakeel in den vergangenen Wochen sind jetzt die ersten Eier da.

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Es gibt aber noch mindestens eine weitere interessante Spezies auf Helgoland. Sie werden Kinder genannt.

Oder auf Helgoländisch letj Mensk, also kleiner Mensch.

Auch sie leben seit fast zwei Monaten unter den Bedingungen der Pandemie: Wenig oder keine Begegnungen mit ihren Freunden und Freundinnen, denn dadurch könnten sie ihre Eltern oder Oma und Opa in Gefahr bringen. In meinem Kopf entsteht das Bild eines Kindes, das einen Rucksack schleppt, der eigentlich für sogenannte Erwachsene gemacht ist.

Die Inselschule hat nicht einfach aufgehört, ihre SchülerInnen zu unterrichten. Es gibt Email, es gibt ein System für digitale Klassenzimmer (und sehr viel Arbeit, das alles so holterdipolter umzustellen).

Aber all das ist ja nur die halbe Miete. Die andere Hälfte – und ich erinnere mich noch nach über vierzig Jahren daran – ist der Ort, wo man seine FreundInnnen (und manchmal auch FeindInnen) trifft. Also so, na ja, analog, nicht auf einem Bildschirm. Die Realität hat nach wie vor die bessere Auflösung.

Deshalb haben sich die Helgoländer Kinder die Steinschlange ausgedacht. Möglicherweise hat die Schuldirektorin dabei mitgeholfen, aber das macht ja nichts.

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Die Steinschlange lebt am Klippenrandweg des Oberlandes und besteht aus den verschiedensten Steinen (und davon haben wir reichlich), die man am Strand finden und bemalen oder sonstwie umgestalten kann.

Und damit gebe ich das virtuelle Mikrofon ab an die Kinder der Insel Helgoland.

Helgoländer Kinder, ich verneige mich (und entschuldige mich bei all denen, deren Stein ich nicht fotografiert habe).

Eia popeia

Die Helgoländer StraßenmalerInnen waren wieder am Werk. Und nicht nur die.

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Wundersamerweise gibt es nämlich nicht nur Osterschmuck in den Vorgärten…

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…sondern auch in den Bäumen an der Oberlandtreppe.

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Und da der Aufzug ja nur noch im Notbetrieb fährt, ist die Treppe mehr denn je die Hauptverkehrsader der Insel.

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Vielleicht fragt sich die (oder der) eine oder andere: Es gibt eine lang andauernde Pandemie mit ungewissem Ausgang und ihr dekoriert die Bäume mit Ostereiern? Habt ihr denn Lack gesoffen da oben?

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Nee, eigentlich nicht.

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Es ist nämlich nicht wissenschaftlich belegt, dass Untergangsstimmung infektionshemmend wirken würde.

Wer keine Eier anmalen will, kann ja auch die seit langer Zeit geplante Renovierung der Gartenbank in Angriff nehmen.

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Einer der Rettungssanis vom Inselkrankenhaus bleibt kurz stehen, reibt sich das Kinn und meint grinsend: “Man könnte sie aber auch blau streichen.”

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Es gibt ja Leute (und die kommen nicht nur vom Festland), die behaupten, dass man sowieso einen Vogel haben muss, um hier zu leben. Kein Problem. Haben wir reichlich.

Vielleicht, vielleicht haben wir es einfacher in dieser Zeit, hier am Ende der Welt.

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Das wird aber nicht so bleiben. Denn auch unsere Insel ist Teil einer Welt, die nicht länger als ein paar Tage langsamer werden darf, ohne auseinanderzufallen. Und damit diese Welt so weitermachen kann, werden bald neue Prioritäten gesetzt.

Ärzte werden zu medizinischen Sachverhalten befragt und ihre Antworten, meistens gegen ihren Willen, zu gesellschaftspolitischen und ethischen Entscheidungsrichtlinien umgemünzt. Am Ende entsteht vor mir eine Zukunftsvision, die so grausam und kalt ist, dass ich die entsprechenden Zeilen entsetzt wieder vom Bildschirm lösche.

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Dann doch lieber an der Steilklippe stehen und zusehen, wie ein Frachtschiff in einer Nebelbank verschwindet.

Reg dich ab, du alter Schwarzmaler. Lebe heute und erhoffe das Beste. Wie die MalerInnen von Helgoland.

Nacht

Gestern Abend lief ich los, um mir den aufgehenden Vollmond anzusehen. Es geht wieder dem Sommer entgegen und um 22 Uhr ist im Nordwesten noch blaue Stunde.

Es ist völlig still. Die Zeit der Winterstürme ist vorbei und Gäste kommen natürlich auch keine hierher.

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Dann gehe ich weiter in Richtung Südklippe, denn der Mond wird in Ost-Süd-Ost erscheinen.

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Über dem Horizont liegt eine Wolkenbank, also dauert es eine halbe Stunde, bis er ganz sichtbar ist.

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Ich mache ein paar Aufnahmen, lasse es dann sein und schaue einfach nur. Meine Taschenknipse ist dieser Situation nicht wirklich gewachsen, aber ob eine bessere Kamera das wäre?

Vielleicht lässt sich das, was mich in solchen Momenten bewegt, überhaupt nicht fotografieren.

Was das ist?

Ich lebe meistens in einer Welt, die von meinesgleichen erbaut wurde. In dieser Welt können wir uns für groß und wichtig halten.

Es gibt aber Augenblicke, die mir zeigen: Stimmt nicht. In Wirklichkeit bin ich sehr klein.

Vor einiger Zeit sind Menschen unter riesigen Gefahren und Entbehrungen zu diesem leuchtenden Ball hingeflogen. Da war ich noch ein kleiner Junge und natürlich völlig fasziniert. Die meisten dieser Zwölf leben inzwischen nicht mehr. Und eigentlich waren wir nur wie ein Kind, das mit dem ersten Rad mit Stützrädern im Garten im Kreis fährt.

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Dann gehe ich wieder nach Hause, denn Fe wartet sicher mit dem Essen.

Der Mond steht schon über dem Kirchendach. Und Nacht heißt eigentlich nur, dass die Sonne gerade in Australien scheint.

Kommt und geht

Es ist mal wieder so weit: Die Zeit der Jahrestage.

Zuerst hat meine Schwester Geburtstag. Dann Jesus. Dann ich. Und am Schluss das ganze Kalenderjahr.

Ansonsten ist saisonbedingt nicht so viel los auf der Insel. Na gut, heute kamen über neunhundert Gäste an. Das sind die Silvester-auf-Helgoland-Menschen.

Am dritten Januar sind die alle wieder auf und davon und die Passagierzahlen sinken wieder in den gepflegt zweistelligen Bereich.

So geht das, Jahr um Jahr. Neunundfünfzig sind es nun für mich und sechs davon auf Helgoland.

Irgendwie bringt mich das nach wie vor zum Staunen, auch wenn ich nicht recht erklären kann, wieso. Eigentlich ist doch nur dieser Planet wieder einmal um die Sonne gekreist.

Und ja, dieses Jahr bekam ich von Fe einen Planeten geschenkt (der Vorgänger war leider beim vor-vor-vorigen Umzug entzwei gegangen). Den ganzen Morgen sind wir mit den Fingern herumgereist.