Zwischen den Jahren

Wir fuhren hinaus in den Wald, in dem wir als Kinder oft gewesen waren. Vertrauter Geruch von Feuchtigkeit und Moos, nassem Holz und verwitterndem Laub.

Ein Vogel verlor seinen Schatten auf einem Baumstumpf – wie er wohl ohne ihn lebt?

Am Waldrand wird es schon dunkel – die Stadt zeichnet ihren Schattenriss in die letzten Sonnenstrahlen.

Später beginnt es zu regnen.

Nass hängt ein einsamer Stern von Bethlehem traurig über unseren über unseren Köpfen.

Die Geschichte zum Fest? – Eine Familie flieht vor Tod, Teufel und Elend aus ihrer Heimat. Sie findet in der Fremde Unterkunft in einem Stall. Mehr gibt der eigene Geldbeutel und die Hartleibigkeit der Mitmenschen nicht her. – Geleitet von einem Stern, einer Idee, finden drei Weise den Weg zu dieser Familie und beschenken sie mit den kostbarsten Gütern ihrer Zeit – Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Wohin wird uns dieser Stern leiten?

“Sei klug und halte dich an Wunder”

“Irgendetwas muss doch in diesem verf***ten Jahr mal funktionieren”, maulte mein Bruder, als er mich am Frankfurter Bahnhof mitten in der Nacht abholte. Dort war ich nach einer wahren Odyssee mit der Bahn in der Nacht vor Heiligabend gestrandet.

So Mitten in der Nacht – der volle Mond grinste über dem Bahnhof – steht man als Frau nicht, ohne dass es zu Kontaktversuchen kommt. Der Erste hatte Hunger nach etwas menschlicher Wärme – eine einsame Seele in einem Straßenmeer. Aber ich wollte niemanden kennen lernen, sondern einfach nur weiter – in ein helles Wohnzimmer und wärmendes Bett. Der Zweite hatte physischen Hunger. Ich drückte ihm etwas Geld in eine Hand, die in zerlöcherte Handstulpen gehüllt war.

Nach diesen zwei Kontaktversuchen und drei Zigaretten war mein Retter da.

Am nächsten Tag stieg das Familienfest, mit leckerem Essen, langen Spaziergängen – und einer anschließenden Grippewoche. Alle weiteren Reisepläne gecancelt, stattdessen Spaziergänge mit meinem Bruder und ein stilles Silvester mit zwei Vier- und zwei Zweibeinern.

Mein Motto fürs neue Jahr:

“Zerreiß deine Pläne. Sei klug

und halte dich an Wunder.

Sie sind lang schon verzeichnet

im großen Plan.

Jage die Ängste fort

und die Angst vor den Ängste.”

Das fand ich bei einer klugen Frau – Mascha Kaléko.

Welkoam iip Lunn

Im Westen steht das letzte Tageslicht.

Eine Amsel singt noch ein schnelles Lied.

Derweil zieht im Osten die Nacht hoch –

la Luna leuchtet prall den Felsen aus.

Nachts in klaren Nächten verweilt Orion neben dem Kirchturm.

Heute kommt eine lang ersehnte Frau auf der Insel an.

Noch stampft die Helgoland durch den Dunst. Kommt sie wirklich?

Die Bänke an der Binnenreede sind winterleer.

Ihr Partner organisierte ein Empfangskomittee und zwanzig Minuten später dröhnt das Schiffshorn durch den Hafen.

Sie ist da – und der Felsen hat eine neue Mitbewohnerin.

Ich denke an T.…..und den Tag, als ich das erste Mal hier ankam.

Under construction

Auf dem Festland arbeiten Menschen jetzt auf Weihnachten hin, auf Helgoland wird im November umgebaut –

oder Urlaub gemacht.

Die Tage sind häufig grau

mal mehr, mal weniger vernebelt.

Manchmal findet man noch Grüppchen von Leuten, die mit Teleskop und Kamera eine besonders seltene Vogelart gefunden haben und sie diskutieren. Aber auch die birdwatcher haben ihr jährliches Treffen auf Helgoland bereits gehabt .

und so sind jetzt zuweilen die Straßen auch um die Mittagszeit leergefegt.

Dennoch bereitet man sich auch hier langsam auf die Weihnachtszeit vor. Das ist wohl der kleinste Weihnachtsmarkt Deutschlands;-)

Aber manchmal reißt der Himmel doch auf und

ein paar Sonnenstrahlen küssen das Meer.

So gibt es in all dem Grauen und Trostlosen Lichtblicke im Kleinen wie im ganz Großen –

russische Soldatenmütter – iranische Frauen und Mädchen – habt Dank für euren Mut –

….bayarefor dancing in the allees and the streets ….

Herbstreise 2 – Abenteuer mit der Bahn – Spaziergang am Fluss

Tja – dieses Plakat fand ich in Hamburg, nachdem mein Zug aus Flensburg soviel Verspätung hatte, dass mein gesamter Reiseplan hinfällig war.

Zwar meldete der Nachrichtendienst fleißig, welche Anschlusszüge ich nicht mehr erreichen würde, aber welche anderen Züge ich auf meiner Strecke nutzen konnte, musste ich selbst herausfrimeln. Und – daran gewöhnt, dass Züge Verspätung haben können, gestalte ich meine Umsteigezeiten schon großzügig….

Ich habe nichts gegen Erlebnisse – aber mit der Bahn zu fahren, ist inzwischen genauso aufregend wie meine Trampreisen als Jugendliche. Nur brachte ich dafür keine Fahrkarte zu kaufen.

Ich landete dennoch irgendwann in G. an und wurde warm empfangen.

In den nächsten Tagen war das Wetter wie an Spätsommertagen. Ich spazierte regelmäßig am benachbarten Fluss entlang.

Der Herbst hat seinen eigenen Zauber.

Suchbild mit Vogel –

ohne die Paddler, die im Sommer die Lahn bevölkern, wird der Fluss wieder zum Lebensraum für andere Spezies.

Die gefallenen Blätter erinnern daran, dass es bald kalt sein wird

Es sind die satten Farben und das letzte goldene Licht, die ich im Oktober liebe.

Fundsachen im Wald –

So leicht diese letzten Sonnentage wirken – mich beschäftigen alte Themen – und der Zustand der Welt lädt auch nicht gerade zu Frohsinn ein.

Doch vom Mond aus betrachtet spielt dies alles keine so große Rolle….

la crise…

“… und nächstens wird es Sommer”

So endet das Juni-Gedicht des guten alten Erich Kästner. Ja – der mit dem kleinen Emil, der mit Hilfe einer Gruppe von Kindern einen Dieb stellt. Immer noch ein tolles Beispiel für self empowerment. Ja – auch der, der die Entwicklung der Menschheit 1932 (!) humorvoll pessimistisch kommentiert.

Das Wetter mag sich nicht an Ferienkalender halten.

Wie schon am Himmelfahrtswochenende gibt es auch zu Pfingsten nicht Urlaubsfreudesonnenschein.

Wind und Wetter blasen so heftig, dass MS Nordlicht und der Adler Cat ihre Fahrten absagen.

Sonne und Regen wechseln stündlich….

Ich gehe raus und probiere meine neue Regenjacke aus. Von oben betrachtet sieht die See gar nicht so bedrohlich aus.

Aber der Sound am Fernmeldemast erzählt mir etwas anderes.

Es ist so laut wie ….. neben einer dicht befahrenen Autobahn? Nein – nicht vergleichbar. Dieser Gesang in den Wanten des Sendemastes ist beständig. Er legt sich ins Ohr und orchestriert den Blick aufs Meer.

Er verhält sich wie ein guter Soundtrack – unterschwellig sich einfügend, so dass er mit dem Bild verschmilzt…

Alles blüht ….

Der Wildkohl ……

die Wildrosen …….

der Weißdorn …..

die Palmen…

Die Nächte werden kürzer und manchmal bleibt der Horizont im Norden schon hell… (wenn die Nacht klar bleibt ;-)

Die Vogelwelt brütet – und da ist auch schon ein Junges da,

während andere noch Eier wärmen. Die Länge der Sitzung lässt sich an der Farbe des Gefieders ermessen.

Und da ist der Ernteplatz, an dem sich die Vögel das Polster für die Nester holen….

Im Wind stehen sie,

segeln gegen eine Bö hinaus und lassen sich zurücktragen vom Wind, der aus Westen gegen den Felsen bläst.

Weit draußen regnet es schon wieder …

eine Viertelstunde später vertreibt ein Platzregen eine Klasse, die gerade an der Anna angekommen ist.

Der Horizont verschwimmt….

Meine Regenjacke hat bestanden….

und ein paar Wochenendsegler treibt der Wind nach Norden.

Nichts muss ……

Alltag

Der morgendliche Soundtrack: Amselgesang, wenn es noch nicht ganz hell ist…manchmal mischen Möwen mit, je nachdem wie der Wind steht…. bei stärkerem Wind ein leises Rauschen als Hintergrund in einem sehr lang gezogenen Rhythmus ….

Zur Zeit stehe ich auf, wenn es gerade heller wird ……

Es folgen Wasserplätschern in den Wasserkocher, ein RRRRRRR meiner Kaffeemühle, nach ein paar Minuten das Sprudeln kochenden Wassers, zwischendrin leises Klappern einer Tasse, die ich aus dem Buffett geholt habe. Ich gieße die Kaffeebrühe auf, warte ein paar Minuten – draußen mischt sich in den Amselgesang das Gezwitscher der Sperlinge – drücke den Pömpel hinunter, gieße ein und sinke mit Tasse auf mein Sofa.

Ich genieße die Zeit vor der Schule. Es ist meine Zeit – und nähme ich sie nicht, so hätte ich das Gefühl, der ganze Tag gehöre meiner Arbeit. Wach werden, die ersten Gedanken aufsteigen und wieder ziehen lassen….

Am Wochenende – einkaufen, verbunden damit spazieren gehen,

Menschen zuschauen, mit Bekannten plaudern…..

Am letzten Wochenende wäre Rock’n’Roll-Butterfahrt gewesen – das kleine, hiesige Laut-und-Draußen-Festival.

Ist zum dritten Mal ausgelfallen, immer noch wegen des Virus.

Aber es gab ein Trostpflaster an der Landungsbrücke für all die unentwegten Fans,

die als buntes, naja eher schwarzes Volk jährlich anreisen.

Ansonsten geht alles seinen Gang –

Gäste kommen und gehen (Juni, Juli, August sei so gut wie ausgebucht, hörte ich) –

die Basstölpel werden intensiv beobachtet –

die Gärten herausgeputzt –

Wohnungen entlüftet –

Die knallig bunte Zeit beginnt –

ein Gegenschnitt zum Weltgeschehen: Säbelrasseln und Kriegsgetaumel.

Das, was jetzt einen idyllische Blick auf die See gewährt,

ist der Rest des letzten Wahnsinns, ein alter Unterstand, der die Sprengung überlebt hat.

Gut, dass auch andere Zeichen gesetzt werden –

an der höchsten Erhebung des Kreises Pinneberg (ganze 66m hoch ;-))) –

oder an einem Abfallkorb

es sind nur Symbole – aber gute.

Der Krieg ist ganz fern, doch manchmal holt er mich ein…

Früh im Jahr ….

Seit zwei Wochen wird die Luft nach und nach milder,

das Tageslicht länger und die See trägt manchmal schon ihr Sommerkleid –

bevorzugt mittelblau mit Einschlägen von Türkis bis Grün.

Frühlingsboten trauen sich aus der Erde, sogar die ersten Osterglocken blühen schon.

Sonne bringt die Helgolandfarben zum Leuchten.

Gäste genießen die Sonne (heute seien 500 gekommen – hörte ich).

Die ersten Kirschknospen fand ich heute an einer geschützten Stelle.

Vor zwei Tagen standen wir hier am Falm.

Die Schule hatte sich einer Initiative der Borkumer Schulen angeschlossen.

Wir standen und schwiegen Richtung Südosten.

Unsere Schüler*innen bereiten einen Spendenlauf vor.

Solidarität mit der Ukraine findet man auf der ganzen Insel.

Man hat sich sogar bereit gefunden, ukrainische Geflüchtete aufzunehmen. Und der Sportverein wie auch das Tourismusbüro organisieren ebenfalls einen Spendenlauf.

Ein Gedicht von Celan geht mir die Tage durch den Kopf:

Espenbaum

Espenbaum, dein Laub blickt weiß ins Dunkel.
Meiner Mutter Haar ward nimmer weiß.

Löwenzahn, so grün ist die Ukraine.
Meine blonde Mutter kam nicht heim.

Regenwolke, säumst du an den Brunnen?
Meine leise Mutter weint für alle.

Runder Stern, du schlingst die goldne Schleife.
Meiner Mutter Herz ward wund von Blei.

Eichne Tür, wer hob dich aus den Angeln?
Meine sanfte Mutter kann nicht kommen.

Das ist die Realität des Krieges.

Ein Krieg zerreißt menschliche Beziehungen.

Er frisst die Seelen derjenigen, die im Krieg getötet haben.

Er frisst die Seelen derjenigen, die vertrieben wurden.

Er stiftet Gewalt – und in dieser ernährt er sich selbst.

“Krieg ist nicht beherrschbar.” Das sagte in den letzten Tagen ein weiser alter Mann – Alexander Kluge.

“Sieger ist nicht, wer die Schlachten gewinnt. Sieger ist, wer den Frieden herstellt.”

Nein, meine Söhne geb’ ich nicht …..

Nie wieder Krieg!

Zwei Freundinnen haben mit mir zusammen diesen Aufruf geschrieben, übersetzt und gestaltet. Etliche andere haben beim Übersetzen geholfen. Danke an euch!

Er richtet sich an alle Frauen Eurasiens.

Männer sollten sich trotzdem angesprochen fühlen, denn ihr seid wie wir Väter, Söhne und Brüder.

Wenn diesen Aufruf unterschreiben könnt, verteilt ihn viral.

Frieden

Das ist ein schöner Zustand.

Es ist ein schönes Wort, wenngleich es im Deutschen mit einer Reibung beginnt.

Der Felsen wirkt an diesem Wochenende friedlich.

Schönstes Sonnenwetter.

Ein Vorgeschmack auf den Frühling.

Faschingsflüchtige Gäste genießen die Ruhe.

Auf der Hauptmeile ein Verweilen in der Sonne.

Nichts –

gar nichts verweist auf den Krieg, der seit Donnerstag auf die gesamte Ukraine ausgeweitet ist.

Ich schreibe euch von einem Stück Land,

das durch zwei Kriege zerstört und vernarbt wurde.

Ich schreibe euch als Tochter von Kriegsteilnehmern.

Ich schreibe als Mutter zweier erwachsener Söhne.

Der Impuls, sich zu wehren, ist groß. Der Impuls, dass wir uns verteidigen müssen, ist noch größer. Die Empörung über das Unrecht dieses Krieges ist berechtigt – und ich teile ihn. Denn mich hat bis jetzt jeder Krieg empört.

Aber Gewalt erzeugt Gegengewalt.

Das ist die Logik des Krieges.

Das ist die Logik jeglicher Gewaltausübung.

Es ist die Logik, die aus Männern Soldatenmaschinen – und zum Schluss menschliche Hülsen macht wie meinen Vater, der den Krieg überlebte, aber seine Seele dort ließ.

Wollt ihr das euren Söhnen antun?

Es ist die Logik, die uns Frauen das Recht nimmt, über unseren Körper zu bestimmen. Die uns das Recht abspricht, verantwortlich und frei unser Frausein, unsere Sexualität zu leben.

Wollt ihr das euren Töchtern antun?

Es ist die Logik, die Menschen das Recht abspricht, zu sein, wer sie sind – und zu lieben, wen sie möchten.

Wollt ihr das euren Brüdern und Schwestern, euren Töchtern und Söhnen antun?

Es ist die lebensfeindliche Logik von Kontrolle und Macht.

Lasst euch nicht auf diese Logik ein.

Ich weiß, all das tritt gerade ein alternder Mann, der das zweifelhafte Recht besitzt, das größte Land der Erde regieren zu dürfen, mit Füßen.

Aber ich weiß auch, dass in Russland Menschen auf die Straße gehen, um gegen den Krieg zu protestieren. Russische Menschen lieben ihre Kinder genau so wie wir. Sie wissen wie wir, wir teilen einen Globus, eine Physis.

Ich weiß, es ist schwer, still zu halten und die Ohnmacht zu ertragen, wenn all die Symbole einer alten Zeit aufgefahren werden, um zu drohen.

T. schrieb in seiner Erzählung ‘Das Tribunal’:

“Es ist gehört kein Mut dazu, zuerst zu schießen. Nicht zu schießen, erfordert Mut.”

Wir sind alle Kinder einer Eva – einer fragilen Welt.

Ich weiß nicht, was in einer Woche, einen Monat oder einem Jahr sein wird – ….