Nicht vorüber

Manchmal – wenn nichts mich trösten kann -,

gehe ich auch bei Schietwetter hinaus. Ziehe die alte Regenhose an, die ein wenig zu groß ist, packe mich im Anorak ein.

Nur ein paar Hundebesitzer laufen mir über den Weg.

Am Sendemast ein Rauschen – man hört sich selbst kaum.

Ein scharfer Wind von Nordwest drückt mich mal gegen das Land, dann treibt er mich an den Zaun. Wie gut, dass der Klippenrand gesichert ist. Der Regen klatscht gegen Kamera und Haut – vermischt mit Eiskörnchen.

Im Gehen und Stemmen, im Getriebenwerden und Balance halten werden Kopf und Herz freier.

Bin beschäftigt mit dem, was ich sehe, dem Unmittelbaren.

Menschen haben ihre Liebe zugeschlossen und an den Klippenrand gehängt. Dort rosten die Lieben vor sich hin. Ob sie wohl noch zusammen sind? –

Gespräche mit den Kindern – ähm: Jugendlichen – über Verluste:

Eine sagt: “Meine Oma ist jetzt dort oben und passt als Schutzengel auf mich auf.” Sie fragt: “Ist das mit Ihrem Mann genauso?” –

Ich halte inne, antworte: “Ja…. – so in etwa.” Und denke bei mir, du warst mir in deinem physischen Leben oft einer. –

Vor ein paar Wochen schickte mir eine Freundin ein Gedicht von Rose Ausländer:

Nicht vorüber

Was vorüber ist

ist nicht vorüber

Es wächst weiter

in deinen Zellen

ein Baum aus Tränen

oder

vergangenem Glück.

DANKE!

Fertsotzung felgt

(Ich habe in der Überschrift drei Tippfehler versteckt. Wer sie zuerst findet, darf sie behalten.)

Heute habe ich die Steinschlange besucht und sie ist wieder länger geworden. Anscheinend haben auch die meisten Gäste verstanden, dass die Einladung nicht darin besteht, Steine mitzunehmen, sondern selbst welche hinzuzufügen.

Ich bin ja ein wenig nahe am Wasser gebaut. Jedesmal, wenn ich erlebe, wie viele verschiedene Menschen es gibt, was für verschiedene Dinge ihnen durch den Kopf gehen und was sie ohne eigenen Vorteil daraus machen, fange ich an, die Brille abzunehmen und mir im Gesicht herumzurubbeln. Da muss man sich dann aber keine Sorgen machen.

Insofern: Bühne frei für die Steinschlange! Was haben wir denn heute?

Bedienungshinweise für die Steinschlange, Schutzengel, Zebrafische, kleine Seeungeheuer, Weisheiten, Regenbögen und jemand macht sich offenbar Sorgen, weil die Stones ja auch nicht mehr die Jüngsten sind.

Und ein Stein für George Floyd.

Du weisst nicht, was ich diesen Sommer getan habe (Für Frau T.)

Ein gutes halbes Jahr habe ich das Blog und alles, was damit zusammenhängt, nicht mit dem (ähhh) hinteren Stoßfänger angesehen.

(Führende AmateurpsychologInnen werden sicher zu dem Schluss kommen, dass es daran liegt, dass ich vieles, was ich früher dem Blog erzählt habe, jetzt Fe erzähle und gut ist. Herzlichen Glückwunsch, ihr dürft eure Analyse gerne in drei Ausfertigungen in den Sand des Südstrandes schreiben, dann auf die Flut warten und ein Eis essen gehen.)

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Also hier ein kleiner Nachtrag:

Nach der RocknRoll-Butterfahrt brach erst mal der Sommer aus. Die Inselkatzen kommen aus ihren Verstecken und beziehen ihre Posten in der Sonne.

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Die Norder-Falm-Klippenmauer-Katze wird am Ende der Saison gefühlte 10.000 mal behätschelt und fotografiert worden sein. Eigentlich sollte die Kurverwaltung ihr dafür eine Leibrente bezahlen. Die Oberlandtreppenkatze ist da etwas zurückhaltender.

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Am Lummenfelsen kehren die ersten Seevögel zum Brüten zurück. Den Trottellummen kann man da nur mit einem Fernglas zusehen, weil sie in den Vorsprüngen der Steilklippe nisten; den Basstölpeln ist das aber egal. Die bauen ihre Nester so nahe am Klippenzaun, dass man sie streicheln könnte, was man aber aus einer Reihe von Gründen besser nicht tut. So ein erwachsener Tölpel hat im Flug eine Spannweite von etwa 120 Zentimetern und an der Innenseite des schönen Schnabels so eine Art Sägeblatt.

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Seine Eier sind aber etwas kleiner als ein Hühnerei. Da muss man schon einigermaßen Glück haben, um etwas zu erkennen, wenn Mama Tölpel drauf sitzt. Auch die Küken haben zuerst einmal so gar keine Ähnlichkeit mit ihren Eltern und sehen aus, wie Vogelküken meistens aussehen: Nackt, komisch und irgendwie wie winzige Dinosaurier.

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Nach zwei Wochen sehen sie dann aber schon aus wie kleine Wollknäuel. Hochgewürgtes ist gesund, egal was wir unter ästhetischen Maßstäben davon halten mögen.

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In der Bäckerei arbeitet ein neuer Verkäufer, der in seiner Freizeit an der Landungsbrücke Capoeira tanzt. Das sieht ziemlich gut aus und bringt südamerikanischen Schwung auf unser friesisches Inselchen.

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Fe macht mit ihrer Schulklasse eine Exkursion nach Cuxhaven. Das ist Teil der Vorbereitungen für den World Ocean Day und gleichzeitig so etwas wie Schüleraustausch in Miniatur. Da aber eine Begleitperson fehlt, werde ich mit “verpflichtet” und lerne in sehr kurzer Zeit sehr viel über die schwierige Aufgabe, Kinder und Jugendliche zu erziehen. Kein Wunder, denn unter anderem verstehe ich zu diesem Zeitpunkt nichts davon. Null. Nada.

Aus offensichtlichen Gründen gibt es von der Exkursion keine detaillierten Berichte oder Fotos. Auch Teeniebratzen haben ein Recht auf Privatsphäre.

Oder halt, ein Foto hab ich doch. Da sind wir gemeinsam in der Bowlinghalle in Cuxhaven. Bowlen kann ich gerade gut genug, um die Bahn nicht zu beschädigen, aber lecker Knabbernüsse gibt es da. Und einen Automaten, aus dem man Flummibälle ziehen kann.

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Wenn ihr also mal nach Cuxhaven kommt, schaut mal rein, zieht einen Flummi und sagt schöne Grüße von dem Kerl, der am nächsten Abend wieder mit den Kids vorbeikam, um noch mehr Flummibälle zu ziehen. Die freuen sich bestimmt ;-) .

Allerdings schaffe ich es auch, mir bei dieser Reise die Blase zu verkühlen und der Inseldoc meint nach dem Ultraschallieren der entsprechenden Regionen so was wie, hmmm, da sollte mal ein Experte für Alte-Männer-Leiden genauer hinkucken. Natürlich ist der auf dem Festland und es dauert auch einige Wochen, bis man da einen Termin bekommt. Ich betrachte das erstmal als Hinweis, dass es wohl nicht so schlimm sein kann.

Inzwischen sind den Wollknäueln Füße und sowas wie Flügel gewachsen.

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Und Elisa hat Geburtstag. Zwar keine der drei Elisas, die ich kenne, aber egal: Alles Gute, Elisa, wo immer du jetzt sein magst.

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Der Facharzttermin verläuft, wie Termine bei Urologen meistens verlaufen: Man pinkelt in einen Becher, lässt sich diverse Gerätschaften in diverse Körperöffnungen stecken und lernt ein paar Urologenwitze. Das tut alles nicht wirklich sehr weh, aber im großen und ganzen wäre ich lieber noch ein paar Flummis ziehen gegangen.

Dazu war aber keine Zeit, denn die Leute in der Praxis machen einen riesigen Aufriss, damit ich am zweiten Tag gerade noch das Schiff nach Hause erreiche. Das rührt mich jedesmal wieder. Normalerweise braucht man aufgrund der Abfahrtszeiten des Schiffs für einen Arzttermin auf dem Festland jeweils drei Tage Zeit.

Nichtsdestotrotz habe ich jetzt einen Zettel in der Tasche, mit dem ich mich einigermaßen bald im Krankenhaus einfinden darf, um das Problem zurechtzuschnippeln zu lassen. Aber ich soll mir nicht so große Sorgen machen, denn über 60 Prozent aller Männer in meinem Alter haben sowas und nur ziemlich selten ist es Krebs.

Na dann.

Die Wollknäuel sind inzwischen etwa doppelt so groß und verlieren ihren Kükenflaum zugunsten des ersten Jugendgefieders. Das ist dunkelgrau, völlig anders als das Federkleid der erwachsenen Tiere und mit Flugversuchen ist auch noch nichts. Dafür aber mit Füttermich-Gezeter. Und da der Kükenflaum am Kopf am längsten bleibt, kriegen die Girls and Boys einen ziemlich punkigen Irokesenlook. Passt.

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Da es sowieso noch ein paar Wochen bis zum OP-Termin dauert (dann kann es wohl nicht so schlimm sein…), fahre ich noch schnell mal zu zwei Open-Air-Festivals auf dem Festland: Das Fusion Festival, bei dem ich 2016 glaubte, das sei jetzt Geschichte und das Herzberg-Festival, das inzwischen eher ein Hybrid aus Festival und extrem lotterlebigem Familientreffen geworden ist.

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Danach noch ein kurzer Tölpelcheck: Ja, die Punk-Knäuel sind noch größer geworden und beginnen, von der Farbe abgesehen, ihren Eltern zu ähneln. Und dann geht es ins Krankenhaus.

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Darüber gibt es nichts Sensationelles zu berichten: Allerlei Formulare, noch mehr Urologenwitze, Licht aus, Licht an und drei Tage, bis dann nach und nach die ersten Schläuche wieder aus mir rausgezogen werden. Der letzte dann nach sechs Wochen, aber das macht schon der Doc auf der Insel. Perfekte Routine.

Bei der Entlassung aus dem Krankenhaus drückt mir der Doc die Unterlagen für den Hausarzt in die Hand, dreht sich in der Tür noch einmal um und sagt:

“Ach ja, bevor ich es vergesse: War kein Krebs.”

Stille.

“Weiss man erst nachher genau, durch die Gewebeproben.”

Na dann.

Bei den Basstölpeln ist inzwischen Abreisestimmung. Die ersten Jungvögel sind schon mit ihren Eltern verschwunden, aufs Meer hinaus, bis nächstes Jahr. Ein paar Nachzügler lassen sich immer noch füttern. Das sieht aber inzwischen fast schon bedrohlich aus (für die Eltern, nicht die Jungen).

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Tja, soweit der Nachtrag. Ein bisschen zu wenig Basstölpel und ein bisschen zuviel Krankengeschichten. Aber das wird wieder.

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Nicht wahr?

Lesezeichen

Die Bibliothekarin hat angerufen. Ich habe mein Lesezeichen in einem der letzten Bücher steckengelassen.

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Die beiden Mädels waren lange Jahre meine Schutzengel, sie schienen aus einer anderen, besseren Welt zu stammen. Viele Jahre später las ich dann, daß beide von den Nazis ermordet wurden. Sonia von den Nazis ermordet wurde. Nusch ist mit 40 an einem Hirnschlag gestorben. Seufz.

Sie sind immer noch meine… ach, was weiß ich.