Es gibt keine großen Neuigkeiten zu berichten. Nous sommes embarqués.
Bei der Nachbarin gibt es wieder “Segen to Go“. Diesmal sogar mit QR-Code!

Der zeigt, Surprise, Surprise, auf die Webseite der Kirchengemeinde.
Ansonsten waren wir noch Fressalien kaufen. Sensation!
Fe bastelt an den Unterrichtsmaterialien für die kommende Schulwoche herum und ich verbreche mal wieder einen Auto-Testbericht. Ich schreibe jetzt aber nur noch über Nostalgie- und Elektro-Karren.
À propos Nostalgie: Gestern habe ich in meinem Foto-Archiv gekramt und mal kurz nachgerechnet: Seit 2014 lebe ich hier, also seit sieben Jahren.
Das hätte ich mir ursprünglich nicht erträumen können. Ich hatte einfach auf ein ziemlich ungewöhnliches Stellenangebot geantwortet und dachte, naja, dass das nicht mehr als ein bezahlter Arbeitsurlaub auf der Insel werden wird. Ein Jahr, maximal.

So kann man sich täuschen.

Und wieder täuschen. Undsoweiter.
Eines Tages fangen dann die Insulaner an, mit dir zu reden und sagen so etwas wie: Na, du bleibst wohl wirklich hier. Und du fühlst dich geehrt.
Ich kam an mit gebrochenem Herzen und leerer Brieftasche. So leer, dass ich mir damals für das Bewerbungsgespräch eine Einzelfahrkarte kaufen musste. Mehr gab der Fahrkartomat nicht her. Zum Glück kam im Laufe des Tages eine überfällige Honorarzahlung ein, sodass ich mir die Rückfahrkarte nicht zusammenschnorren musste.

Leute mit Liebeskummer oder anderen Katastrophen in der Vergangenheit kommen hier immer wieder an. Meistens halten sie es nicht lange aus. Hin und wieder gibt es Ausnahmen.
Und ich war vorerst genug mit Staunen beschäftigt.

Ich war jetzt nämlich Gästeführer auf dem Felsen, obwohl ich aus dem Ruhrpott komme. Also wurde die Inselbücherei für einige Monate zu meinem zweiten Wohnsitz.

Die Bücherei sieht mittlerweile auch ganz anders aus, moderner und heller. Trotzdem erinnere ich mich manchmal etwas wehmütig an die alte “Bücherhöhle”.

Wenn das Wetter es erlaubte, konnte ich das Studienmaterial aber auch an den Strand mitnehmen.
Wie alle Habenichtse landete ich in einer Personalwohnung meines Arbeitgebers im Südhafen. Damals wusste ich noch nicht, dass die für hiesige Verhältnisse relativ luxuriös war.

Häuser auf dem Felsen halten manchmal ungewöhnliche Überraschungen oder Hinterlassenschaften bereit. Das liegt unter anderem daran, dass viele Menschen bei der Rückreise zum Festland ihren Kram hier einfach liegenlassen. Ansonsten muss man den nämlich vom Zoll inspizieren lassen und das kann kompliziert sein.

Nach kurzer Zeit wurde mir allerdings auch klar, dass ich in einer Art WG gelandet war. Das war zeitweise gewöhnungsbedürftig, obwohl ich außerordentlich WG-erfahren bin. Aber dies war eine dedizierte Männer-WG. Später nannte ich sie auch die Murakami-Appartments.

So ein Murakami-Appartment kann ganz lustig sein.

Naja, je nachdem, was man als lustig empfindet. Manchmal kommt man nach Hause und in der Küche findet gerade eine Headbanger-Party statt. So what? Man muss ja nicht jeden Quatsch mitmachen ;-) . Es gibt andere, tollere Erlebnisse.

Das praktische an Männer-WGs? Man kann sich aufführen, als sei man immer noch 13 Jahre alt, ohne komplizierte Fragen von diesen komplizierten Frauen zu beantworten. Das unpraktische?
Tja. Keine Frauen. Aber ich war sowieso nicht auf eine entlegene Insel gezogen, um eine neue Romanze zu suchen.

Und das ist auch das tolle am Beruf eines Gästeführers: Jede Menge soziale Interaktion, viele interessante Leute, aber keine “Komplikationen”. Gekuschelt wird nicht ;-) .

Abgesehen davon, dass irgendwann doch wieder alles anders kam.
Wenn ich in meinem Bild-Archiv blättere, staune ich gelegentlich, wie viele Dinge sich inzwischen verändert haben.

Das war bis 2016 (?) das einzige Verkehrsschild auf der Insel, unten am Fuß des Milstätter Wegs (oder, wie man hier sagt, des Düsenjägerpfades). Ok, es war schon ganz schön abgerockt, aber als es dann eines Tages abgebaut war, fand ich es doch schade. Da konnte man nämlich immer so schön die Sache mit dem Paragraf 50 erklären.

Oder das zweisprachige Schild an der Polizeiwache in der Hafenstraße, auf deutsch und helgoländisch. Das war laut Inselfunk bei manchen Gäste-Honks so beliebt als “Mitnehmsel”, das die Sheriffs irgendwann keine Lust mehr hatten, es zu ersetzen. Schade.

Der alte Lagerschuppen an der Hafenstraße existiert auch nicht mehr. Vor zwei Wochen wurde er abgerissen. Ja, er war alt und verwittert und nicht mehr ganz dicht. Aber das bin ich ja auch.

Die Crew-Schiffe der Windenergie-Firmen gibt es zwar immer noch, aber es sind deutlich weniger geworden. Als ich hier ankam, waren die Bauarbeiten an den Windparks gerade in vollem Gange und die CTVs stapelten sich in sämtlichen Hafenbecken wie Paketdienst-Autos in einer Großstadt.

In den ersten zwei Jahren bin ich noch mit der alten “Atlantis” zum Festland gefahren. Nachdem sie durch die heutige “MS Helgoland” abgelöst war, wurde sie noch ein paar mal zwischen diversen Reedereien hin- und hergeschoben und wird inzwischen in einem türkischen Schiffsfriedhof auseinandergesägt.

Verschwunden sind auch die letzten Telefonzellen, von denen es hier bis 2018 noch zwei Stück gab. Die Insulaner hatten da schon eine alternative Nutzung für gefunden, aber dann wurden sie doch durch magentafarbene “Marterpfähle” ersetzt.
Ich weiß, im Vergleich zum Festland sind das nur Kleinigkeiten. Aber es ist auch eine kleine Welt.

Ich kann mir kaum noch eine andere vorstellen.
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