Sie sind wieder da!

Ja – DIE –

Doch der Reihe nach:

Trübe Tage wechseln mit Sonnenstunden.

Der Felsen liegt im Winterschlaf,. So scheint es.

Doch hinter den Kulissen werden Kleinigkeiten, die in der Saison kaum wahrgenommen werden, inselweit diskutiert. Die Helgoländer langweilen sich – und drehen nicht nur Däumchen, sondern lassen ihn über die winzige Tastatur ihrer Handys laufen, haben zu allem, was sie während der Saison nicht interessiert, eine Meinung.

Ja – ist schon erstaunlich.

Währenddessen dreht sich die große wie die kleine Welt weiter. Ende Januar sind die ersten Lummen da – und schauen nach, ob noch alles steht.

Tut es, und so sind sie geblieben. Was die großen Zweibeiner tun, interessiert sie wenig.

Und jetzt, Mitte Februar, haben ein paar Basstölpel den Weg hierher geschafft – und bleiben. Yippie!

H., der alte Hafenmeister, erzählt mir die Geschichte der Basstölpel:

“Vor ca. 15 Jahren kam ein Pärchen hier an und zog ein Junges groß. Das Junge versuchte, als es herangewachsen war, zu fliegen. Aber es hatte sich in dem Netz verfangen, mit dem die Eltern das Nest so fein ausgepolstert hatten. So hing es in der Klippe und starb vor sich hin. Eine Gruppe von jungen Bergsteigern und einem Hubschrauberpiloten hatten davon gehört und holten sich die Erlaubnis, sich von der Klippe abzuseilen, um das Junge zu retten.

Ja – das gelang. Man trug es zur Vogelwarte. Der erste Basstölpel, der auf Helgoland geboren war, wurde beringt. Dann schnell zurück an den Klippenrand – man wollte noch vor Sonnenuntergang mit dem Hubschrauber zurück. Dort setzte man es ab, damit es zu seinen Eltern flöge. Aber, es konnte nicht fliegen – und brach sich alle Knochen.

Dennoch – im nächsten Jahr kamen zwei Paare, dann acht, dann Jahr für Jahr mehr.”

Unter Basstölpeln hatte sich herumgesprochen, dass man hier seine Eier nicht vor übermütigen Zweibeinern schützen muss – wie etwa auf den Orkneys.

Von der Pandemie zeugt nur noch ein Schild am Fahrstuhl

– von der Vogelgrippe nur noch ein Warnschild an den Vogelfelsen.

Bald – am ersten März – feiern die Helgoländer die Freigabe Helgolands für die Neubesiedlung nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist hier der größte Feiertag – wichtiger als Weihnachten und Ostern zusammen.

Dann – kurz danach – beginnt wieder die Saison – und die große Aufregung um kleine Ereignisse wird ein Ende haben. –

Menschen sind schon komisch – oder? – Schütze mich vor diesem Fluch …

Sooo long Anna …..

Es ist unter der Woche – und für mich ist es absoluter Luxus, an einem Wochentag ein Touri-Event zu unternehmen. Aber meine Schwester hat die Rundfahrt gebucht und ich habe versprochen mitzukommen. Nein – sie musste mich nicht zwingen – im Gegenteil…..

Alles geht schnell. Wir steigen in ein Börteboot und finden uns zwischen mittelalten Menschen wieder: zwei Ehepaaren, neben mir sitzt eine Frau mit fotografischem Profi-Equipement. Die ganze Fahrt über wird ihre Kamera leise von den im Sekundenrhythmus geklickten Bildern surren. Neben ihr komme ich mir mit meiner kleinen zierlichen Kamera wie ein Leichtgleiter neben einem Airbus vor. Aber ich würde mein leichtes Gerät nie gegen das schwere meiner Nachbarin tauschen wollen.

Im Bug des Bootes hockt ein Teenager. Es ist nicht auszumachen, ob die deutlich schlechte Laune aus Unwohlsein oder dem Zwang der Mama, die auch dabei ist, entstanden ist.

Das Wasser ist samtweich…

Wir fahren an der Nordostkante des Felsens entlang Richtung Lange Anna.

Unser Gästeführer arbeitet auch für die Biologische Anstalt des Alfred-Wegener-Institutes. Das ist auf Helgoland nicht ungewöhnlich, das Menschen zwei Jobs haben. Das Leben hier ist für Insulaner teuer.

Wir halten auf Höhe der langen Anna an – und eine Leine mit einer Boje wird herausgezogen. Am Ende erscheint ein Korb, eine Reuse und wir blicken auf einen kleinen Hummer und fünf Taschenkrebse.

“Nein, die werden nicht gegessen”, versichert uns unser Gästeführer, mal abgesehen davon, dass der arme Hummer wirklich noch sehr klein ist.

Sie werden von den Meeresbiologen vermessen und dürfen dann ins Felswatt zurück.

Weiter geht es Richtung Nordspitze – und noch etwas erscheint, das von Land aus nicht zu sehen ist – die Kleine Anna. Sie steht als Felsnadel zwischen der Langen Anna und dem Felsen.

Oder sitzt sie da etwa?

Wir umrunden die Nordmole, Reste des größenwahnsinnigen Projektes Hummerschere der deutschen Faschisten, das Helgoland zur U-Bootfestung in der Nordsee machen wollte.

Dann folgt der Schensky-Blick.

Jaa – Franz Schensky ist DER Helgoländer Fotograf.

Die meisten Fotografien aus dem frühen 20. Jahrhundert von Helgoland stammen von ihm. Bewundernswert, wie scharf und klar diese Aufnahmen sind.

Da oben am Vogelfelsen stehe ich oft.

Ein letzter Blick zurück –

noch sind wir vom Südhafen eine Viertelstunde entfernt, aber mein Akku ist leer.

Ciao Anna –

Stolpersteine

Als Fe und ich uns heute mit Proviant für das Wochenende eindecken, liegen Blumen auf der Straße. Denn heute ist es 75 Jahre her, dass die Mitglieder der Helgoländer Widerstandsgruppe verhaftet wurden.

Drei Tage später wurden sie in Cuxhaven von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. Da lag Helgoland schon in Trümmern und die Niederlage Nazi-Deutschlands war nur noch eine Frage von Tagen.

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Der Inselarzt Dr. Kropatscheck notiert in seinem Tagebuch: “In Cuxhaven liegen die Gewehre schon auf der Straße herum. […] Das Kriegsgericht war noch nicht nach Hause gegangen.”

Drei der sechs Stolpersteine liegen auf unserem Einkaufsweg.

Dabei fällt mir wieder ein, dass einige Politiker gerne davon sprechen, dass wir im Krieg gegen das Virus leben.

Na ja.

Hell und Dunkel

Auf dem Weg vom Einkaufen im Unterland machen Fe und ich auf der Oberlandtreppe eine kurze Verschnaufpause und legen die Köpfe in den Nacken.

186 Treppenstufen, puh.

Hell und dunkel, ineinander verschränkt.

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Okay, fragt ihr euch vielleicht, was soll das bedeuten? Hell und Dunkel? Treppe? Aufzug? Auf einer einsamen Insel?

Ganz einfach:

Helgoland ist keine Sandbank wie die meisten anderen Nordseeinseln. Es ist ein Felsen, der zu zwei Dritteln gut 50 Meter aus dem Meer aufragt. Das andere Drittel der Landfläche liegt aber fast auf Meeresniveau. Also gibt es ein Ober- und ein Unterland und dazwischen eine Steilklippe. Die will man nicht jeden Tag hinauf- und hinabklettern, also gibt es seit dem 18. Jahrhundert (soweit das bekannt ist) eine Treppe.

Später, als der Felsen ein Seebad geworden war, kam dann ein Aufzug hinzu. Der sah erst einmal so aus, wie man das heute noch auf alten Postkarten oder im Helgoland-Museum sehen kann.

Wenn man den Geschichtsbüchern glauben darf, war das eine helle Zeit für die Insulaner.

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Nachdem die im zweiten Weltkrieg die halbe Welt inklusive Deutschland und auch Helgoland  abgefackelt wurde, sah der alte Aufzug dann eher so aus.

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Dunkelheit fiel über den Felsen, bis die Insulaner nach sieben Jahren allmählich wieder zurückkehren konnten.

Heute ist der Aufzug eine eher prosaische Einrichtung:

Eine im Jahr 1958 erbaute zweizügige Anlage nach dem Otis-System, die in die Steilklippe hineingebaut ist. Nichtsdestotrotz ist es sozusagen die Helgoländer U-Bahn. Sie mag nur 38 Meter weit fahren, aber dafür in der Vertikalen. Und sie ist sehr hilfreich, wenn sperrige oder schwere Dinge ins Oberland transportiert werden sollen. Oder wenn man nicht mehr so gut Treppen steigen kann.

In den letzten Tagen ist auch hier alles ganz anders.

Normalerweise sind die Kabinen permanent unterwegs, aber wenn man ungeduldig ist, kann man sie auch herbeiklingeln. Dann kauft man eine Fahrkarte oder lässt als Insulaner ein Loch in die 100er-Karte knipsen.

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Das geht zur Zeit natürlich nicht mehr. Die Kabinen sind viel zu klein, um effektiv Abstand zu halten und die Menschen, die normalerweise den Aufzug bedienen, sind… nun, Menschen.

Also fahren wir bis auf weiteres in Eigenregie im Aufzug. Es gibt sowieso nur zwei Stockwerke. Und die Karten abknipsen ist Ehrensache, das machen wir nachträglich, wenn dieser böse Traum vorbei ist.

Wenn es wieder heller wird.

Schweres Erbe

Der 18.4.1945 war der Tag, an dem das alte Helgoland in einem Bombenhagel unterging. Nach dem Krieg wurde die Insel zwar vor dem Neuaufbau gründlich nach Sprengstoffresten abgesucht, aber trotzdem werden immer noch alte Bomben und Sprengsätze gefunden, die mühelos ein Haus pulverisieren könnten.

2014 war das vor allem im Südhafen der Fall, wo ich wohne. Da hat mich die Feuerwehr im Laufe des Sommers drei mal aus der Wohnung rausgeklingelt. 2015 dann an der Bücherei, als die Leseterrassen neu gebaut wurden. Im Sommer zuvor habe beim Lesen buchstäblich da draufgesessen. 2016 war aus dem gleichen Grund ein großer Teil des Nordost-Strandes gesperrt.

Heute ist es wieder soweit, diesmal im Oberland. Zwei Meter unter dem Kinderspielplatz, keine hundert Meter von der Schule entfernt.

Schnell drehe ich noch die Runde mit meinen Gästen, während hinter uns der Lautsprecherwagen der Feuerwehr durch die Straßen fährt. Die Treppen sind im Unterland schon gesperrt.

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Die Insulaner haben darin schon eine gewisse Routine. In der Nordseehalle wird eine Notunterkunft mit Heißgetränken und belegten Broten organisiert. Als Alternative haben auch die Kneipen im Unterland früher geöffnet.

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Selbst der Teeladen reagiert mit einem besonderen Angebot.

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Galgenhumor à la Helgoland.

Wie sich später herausstellt, war es eine britische 500-Pfund-Fliegerbombe. Bei den Bombenentschärfern sind die relativ “beliebt”, denn deren Zünder sind aus Messing gefertigt, das kaum korrodiert. In diesem Fall war aber der Zünder durch den Aufschlag beschädigt worden.

So mancher Insulaner hat noch so ein Teufelsding im Regal stehen. Wer vor sechzig Jahren bei Entschärfungen half, konnte den Zündmechanismus häufig als Souvenir behalten.

Die amerikanischen Bomben hatten Zünder aus einer (billigeren) Eisenlegierung. Die sind inzwischen nur noch Rostklumpen. Und noch schlimmer sind die Säurezünder, erzählt mir der pensionierte Inselpolizist. Die können schon losgehen, wenn nach Jahrzehnten wieder Sonnenlicht darauf fällt.

“Ganz schön einfallsreich, diese Menschen”, rutscht es mir heraus. “Beim Morden und Zerstören immer”, murmelt er und zieht dann weiter.

Tierlieb

In den letzten Tagen war es wieder kalt und neblig und irgendjemand hat sich wohl Sorgen gemacht, daß der Berliner Bär im Oberland sich erkältet.

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Ursprünglich fand ich es kurios, daß viele Leute fragen, warum der da überhaupt steht. Dann wird mir aber klar, wie alt ich bin:

Früher gab es ja mal ein durch eine Mauer geteiltes Deutschland und mindestens jedes mittelgroße Kaff in Westdeutschland hatte einen Berliner Bären mit einer Entfernungsangabe. Im Grundgesetz stand ja auch drin, daß eine Wiedervereingung von Ost- und Westdeutschland irgendwie eine erstrebenswerte Sache sei.

Seit über einem Vierteljahrhundert ist das aber eigentlich Geschichte. Gut, daß sich gelegentlich jemand um den kleinen Kerl dort oben kümmert. Meistens ist das nämlich der windigste Ort auf dem ganzen Felsen.

Vielleicht hat aber auch nur jemand seine Mütze verloren ;-) .

Helmut und Andreas

Helmut. Ich erinnere mich, wie er das Amt übernahm und ich dachte, oh, nach meinem Deutschlehrer wird jetzt mein Mathelehrer Kanzler. Cool fand ich ihn schon, mein Vater fand ihn auch besser als Willy.

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Einen Tag später ist mein Ex-Kollege Andreas gestorben. Der war nie Bundeskanzler (das wäre mal eine echt spannende Ära geworden ;-), aber hat mir mindestens einmal beruflich den hinteren Stoßfänger gerettet.

Mann, Andreas. Du kuckst jetzt von oben auf uns runter und sagst “Regt euch mal wieder ab, mir gehts gut.”

Helmut wahrscheinlich auch.

H-Kennzeichen

Nein, es ist nicht die originale Bremer Kogge aus dem Jahr 1380. Die hatte noch keinen Flautenschieber, der gelegentlich mal mit Schiffsdiesel betankt werden muß.

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Aber die “Ubena von Bremen” hat jetzt immerhin 25 Jahre auf dem Buckel und trotz allem modernen Schnickschnack ;-) gibt sie schon einen ganz guten Eindruck, wie man vor 600 Jahren als Handelskapitän in der deutschen Bucht unterwegs war.

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Hamburg

Eine Helgoländer Familie hat mir Einblick in ihr Familienarchiv gewährt.

In einem ganz alltäglichen Büroraum voller ganz alltäglicher Baumarktregale stapeln sich Bücher und Ordner voller Briefe und Zeitungsausschnitte. Die Hälfte davon ist älter als ich. Zwischen den Schriftstücken liegt in einem Regal eine Männerarmbanduhr, deren Glas und Gehäuse in Jahrzehnten zu einem gleichmäßigen Matt abgetragen wurde.

Abends fahre ich zurück ins Hotel. S-Bahn, alle starren auf ihre Smartphones. Irgendwie erinnert mich das an die Szenen in der Monorail in Fahrenheit 451.

Draußen zieht hinter einem HVV-Bus die Große Welle von Kanagawa vorbei.

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Casino

Nach dem zweiten Weltkrieg war das Schicksal des Felsens sehr ungewiß. Zwischen 1945 und 1949 gab es eigentlich kein Land namens Deutschland. England nutzte Helgoland als Übungsziel für Bombenabwürfe und es gab auch Überlegungen, den Felsen wieder zu einer permanenten britischen Marinebasis zu machen.

In dieser Zeit entstand ein Entwurf eines deutschen Architekten für ein zukünftiges Helgoland, den man sich heute noch in der Inselbücherei ansehen kann (man beachte den angedeuteten Union Jack auf dem Dach des Spielcasinos).

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Das heutige Casino Helgoland sieht eher so aus. Danke an Ute und Alf für das Care-Paket!

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(Alternativ gibt es natürlich auch noch die Daddelautomaten in diversen Hafenspelunken. Die nehmen inzwischen auch 20 €-Scheine. Hey, wer hat denn diesen Schwachsinn legalisiert?)