Sonntags nach dem Sturm

Der erste Herbststurm fegte über den Felsen, rüttelte an den Wanten des Sendemastes, trieb Blätter und Fußgänger durch die Gassen und wollte und wollte nicht aufhören.

Zwei Tage lang waren wir vom Festland abgeschnitten

und mein Besuch verlängerte seine Ferien um einen Tag. ;-))

Am Samstag dann –

alles still, als habe die See nie getobt.

Die Schiffe fuhren wieder

und nahm all die Gäste (800 allein auf der ‘Helgoland’, sagte der Inselfunk) mit,

die längst zuhause sein wollten.

Jetzt ist es noch einmal merklich stiller – die Bänke vor den Fressbuden leer

Tische und Stühle schon zum Einkellern aufgestapelt.

Langsam werden die Bürgersteige hoch geklappt.

Am Vogelfelsen, wo sich sonst große und kleine Zweibeiner gegenseitig betrachten –

herrscht Leere.

Nur die Heidschnucken erfreuen noch ein paar Unentwegte, die geblieben sind.

An einigen Stellen des Klippenrandwegs finden sich Absperrungen.

Die Stürme des gehenden Jahres haben wieder ganze Arbeit geleistet und sich einen Teil des Felsens geholt.

Diesen Aussichtspunkt wird es bald nicht mehr geben.

Ach – ihr zwei tollen Frauen –

es war schön mit euch!

Herbst

Hier auf dem Felsen scheint das Jahr weiter fortgeschritten.

Es dunkelt merklich früher.

Die Bäume haben ihre Hüllen fallen lassen – nackter Baumkern garniert mit ein paar letzten Früchten.

Tropfen perlen sich auf den Halmen.

Es ist nicht kalt. Deswegen fallen die Blätter vertrocknet von den Ästen.

Die Vogelfelsen sind leer –

Wie die großen Zweibeiner hinterlassen sie den Müll, den sie zum Nestbau aus dem Wasser gefischt hatten.

Der Felsen gleicht einem Set aus einem Murakami-Roman.

Von Westen treibt der Wind die Wellen gegen den Felsen – und manchmal mischt sich in das gleichmäßige Schlagen ein Twitwitwi.

Auf dem Festland gab es noch freundliche, fast warme Tage.

Ich spazierte – alleine – mit dem einen, mit dem anderen Bruder.

Die Stadt ist in freundlich goldenes Licht getaucht. Die Schatten lang – auch schon am Vormittag.

Die kalten Nächte treiben die Farben ins Blattwerk und

alles flammt ein letztes Mal auf.

Wolken verteilen das Licht

und plötzlich verändert sich ein gleichmäßiges Feld in eine bewegte Landschaft.

Der Parkwald am benachbarten Jagdschloss wirkt noch sommerlich.

Um in den Wald zugelangen, steigen wir über einen Zaun und folgen der alten Jagdschneise.

Mein Bruder erzählt, wie sich der Adel vor 200 bis 300 Jahren das Wild auf eine Lichtung treiben ließ, um dort zu ballern, was das Zeug hielt.

Im inneren Ohr höre ich Hörner, die Geräusche brechendes Holzes und hetzender Hunde, aber die Wiesen liegen still.

Die Sonne allein richtet ihren Spot auf Einzelnes,

das plötzlich aus Grau, Grün hervortretend

auf einer Bühne steht.

Dieses Jahr geht mit ‘schwerer Fracht’ – oh ja……..

Landei unterwegs

In diesem Jahr bin ich häufig gereist – soviel wie vor vier, fünf Jahren, als ich noch zwischen Festland und Helgoland hin- und herpendelte.

Nun geht es andersherum. Jetzt arbeite und lebe ich am Rande der Welt – und fahre los, um meine Menschen auf dem Festland zu besuchen – oder – ihnen die letzte Ehre zu erweisen.

Ich will ans andere Ende der Republik, ganz in den Südwesten, dorthin, wo Frankreich schon grüßt.

Doch zunächst begrüßt mich das Festland –

die Urgewalt des Meeres eingefangen in einer Tube – müsste das Plastikgehäuse nicht sofort zerspringen? –

Ein paar Tage später Rückreise Richtung Norden – ein Mensch braucht mich, um die ersten Schritte und Wege zu gehen, nachdem er seinen Partner verloren hat. Es ist ein Liebesdienst – und ein letzter Gruß an einen Menschen, der in T’s Leben eine Rolle spielte. –

Und wieder ein paar Tage später – wieder in den Süden, in die Metropole der Banken, Versicherungen. Ich kehre nicht in den Kiez zurück, in dem ich ein paar Jahre verbrachte, sondern einen, der am anderen Ende der Stadt liegt, eingekeilt zwischen Autobahnen und Eisenbahntrassen.

Als ich aussteige, ist es warm.

Der Soundtrack der Großstadt umgibt mich – S-Bahn-Quietschen, das heulen anfahrender Motoren, Durchsagen vom Bahnhof, vor dem ich sitze. All das wird gebunden und rhythmisiert durch ein ständiges tiefes Brummen, das mal mehr, mal weniger durchdringt, aber immer da ist – die Autobahn. Darüber wie eine Solostimme weht Italienisch kurz zu mir herüber – dann ein Handyklingeln: “Ehm Bruda, isch kann net…”.

Ich wechsle schnell mein Schuhwerk, die Stiefel sind zu warm, und setze mich neben meinen Taschen auf eine Bank. Mir ist bewusst, wie schnell ich all das wegschalten würde, wenn ich hier lebte. Ich habe hier gelebt. –

Und dann kommt sie, meine Schwester, und wir verschwinden um zwei Ecken in einer Wohnung. –

Gang durchs Quartier – es ist Flohmarktwochenende.

Am nächsten Tag haben die Hinterhöfe geöffnet. Gelegenheit, nicht nur Praktisches und Unpraktisches zu erstehen, sondern auch das Viertel und seine Leute zu sehen.

Man denkt voraus.

Ich entdecke einen unwahrscheinlichen Dachaufbau – wie ein Dorn thront er auf dem Gründerhaus. Die Sehnsucht nach freiem Blick treibt eigene Blüten…

Weltanschauungsunterricht…..

Wir finden einen Stand mit Vinylschätzen – unter anderem diesen –

und eine Melodie begleitet mich für den Rest des Tages.

Wir begegnen zwei ehemaligen Bewohnerinnen, Mutter und Tochter, die aus ihrer Stadt verschleppt und ermordet wurden.

Grüne Oase: Ja – man tritt viel Pflaster hier – und immer wieder erinnern Durchblicke daran,

dass man ein Anhängsel eines viel größeren Konglomerats ist. Und doch: ein Park entlang der Nidda – beträchtlich groß – belebt die Masse an Stein und Beton, schafft Luft, zwar keine Abgeschiedenheit, doch Ruhe und Muße.

Und Geschichten entstehen – von einem Paar Schuhe, das auf einer Parkbank ruhte und auf neue Füße wartete.

Zwei Tagesausgaben, die einem Berber spät in der Nacht, als Unterlage dienen könnten. Jetzt dösen sie noch in der Sonne, ausgelesen, weggelegt und vergessen….

Am nächsten Tag Abschied von Frankfurt –