Genau so, nur anders

Klar, es gibt Sehenswürdigkeiten, zu denen man mit Ziel und Planung aufbricht. Andere findet man im Alltag, auf dem Weg zum Supermarkt oder so.

Ich weiß nicht, ob Helgoland der ungewöhnlichste Ort in Deutschland ist. Aber wir gehören sicher in die Top Ten.

Hier, wo auch Stockenten mal ein Ferienhaus bewohnen möchten.

Wo selbst die gefährlichen Hunde nicht so furchterregend sind.

Und auch die Bundeswehr etwas kleinere Dienstfahrzeuge bevorzugt.

Nur “Black Lives Matter” gilt hier genau so wie überall. Nicht anders.

Fortschritt

Alles schreitet fort – unser Leben, der Planet auf seiner Bahn um die Sonne, das Hin und Her der Pandemie.

So geht der Sommer zu Ende. Der erste Herbststurm, der erste Tag, an dem man Strümpfe anzieht. Fortschritt.

Und was für ein Sommer das war:

Nachdem Ende Mai die Einreisebeschränkungen aufgehoben wurden, gab es doch noch so etwas wie eine Saison. Die Reedereien hatten sich verpflichtet, die Passagierzahlen pro Schiff zu halbieren und setzten daher zusätzliche Schiffe ein. Helgolines, die hauptsächlich auf ihren nagelneuen Katamaran setzen, holten sogar die San Gwann, eine zwanzig Jahre alte Autofähre mit bewegter Geschichte aus der Reserve.

So kamen dann doch noch halbwegs passable Gästezahlen zustande. So passabel, dass die Gemeindeverwaltung angesichts des Gedrängels auf der Hafenstraße dort für einige Wochen eine Maskenpflicht verkünden musste.

Das fanden manche Leute albern, aber mit dem Ende der Schulferien und den sinkenden Anreisezahlen konnte die Maskenpflicht inzwischen wieder aufgehoben werden.

Ich kann mir schon vorstellen, dass man bei uns in manchen Augenblicken vergessen kann, in welcher Situation die Welt sich gerade befindet.

Aber auch wenn wir weit entfernt von den großen Städten des Festlands mit ihrem Gewimmel und Gedrängel sind, so leben wir doch nicht auf einem anderen Planeten.

Bis jetzt ist es gelungen, Urlaubsgäste hier zu haben und gleichzeitig eine Infektionskette auf der Insel zu vermeiden. Noch ist es zu früh für verbindliche Zahlen, aber nach dem was mir andere Insulaner erzählen, werden wir wohl so etwas wie 30 Prozent einer normalen Sommersaison haben. Immerhin.

Eher unbeeindruckt von all diesen Dingen sind die Inselgäste an der Steilklippe. Da schreitet alles ganz hervorragend voran.

Zum ersten Mal seit Bestehen der Kolonie haben die Basstölpel ihre Nester weitgehend ohne die Gesellschaft knipsender Zweibeiner gebaut und die Ornithologen sind ganz aufgeregt, weil sich anscheinend die Population dadurch messbar vergrößert hat.

Den Tölpeln selbst ist das wahrscheinlich hochgradig schnuppe. Und selbst der nerdigste Vogelkundler wünscht sich nicht wirklich ein weiteres Lockdown-Frühjahr, um seine Datenbasis zu verbessern.

Inzwischen sind die ersten Plüschküken zu herumposenden Teeniebratzen fortgeschritten und der Brutfelsen beginnt ganz allmählich, sich zu leeren.

Einen deutlichen Fortschritt gibt es auch bei der Steinschlange zu verzeichnen.

Jeder dieser Steine erzählt eine kleine Geschichte, wenn man genau hinsieht. Die meisten sind witzig und kreativ, aber manche machen auch wehmütig und nachdenklich. Erstaunlich, was passiert, wenn man den Leuten einen kleinen Schubs gibt.

Allerdings müssen wir bald die Steine einsammeln (und ihnen ein neues Heim in der Inselschule geben), denn der Winter kommt und manche der frühesten Exemplare aus Sand- oder Kalkstein sind schon von Wind und Wetter zersprengt worden. Ein wenig schade, aber hey, Nordsee!

Mit den Gästeführungen ist es leider nichts geworden in diesem Sommer. Das liegt an einer Art Alptraum, den ich habe:

Fe steht als Lehrerin in ziemlich direktem Kontakt mit der Hälfte der Inselbevölkerung. Nicht nur epidemiologisch, aber eben auch. Was, wenn ich mich nun auch unters Volk mische und eines Tages nach Hause komme und, naja: Hallo Liebste, ich hab dir was mitgebracht, das kannst du morgen gleich mal in der Schule weitergeben...

So will ich eigentlich nicht in die Inselgeschichte eingehen. Vielleicht habe ich aber auch nur eine permanente Meise erworben durch diesen ganzen Corona-Mist.

Jedenfalls sitze ich zur Zeit wie in den schlechten alten Tagen wieder stundenlang vor dem Bildschirm und schreibe schreckliches Javascript und schrecklichen Unique Content für schreckliche Webseiten zu schrecklichen Honorarsätzen. Wollte ich eigentlich nie wieder machen.

Aber was solls, die Norderfalmkatze kommt ja auch damit klar, dass ihre Kraulquote massiv eingebrochen ist, seitdem bekannt wurde, dass auch Katzen das %$&?!!!-Virus übertragen können.

Vor ein paar Tagen habe ich der Besitzerin des Ladens, der hier Souvenirs aus Recycling-Kram verkauft, eine Tüte voll alter Speichermodule vorbeigebracht. Sie macht da Broschen und Schlüsselanhänger draus.

“Hast du denn irgendetwas zu tun, dass dir eine positive Rückkopplung gibt?”, fragte sie, nachdem ich fertig gejammert hatte und ich muffelte zurück: “Ich hab ne positive Rückkopplung zu meiner Liebsten. Das muss erst mal reichen.”

Aber sie hat ja recht.

Einfach mal Ausschau halten. And never mind the bollocks.