Berlin Transit

Auf der Fahrt zum Fusion Festival lege ich einen Zwischenstopp in Berlin ein und besuche alte Freunde.

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Praktischerweise ist gerade Samstagabend und es gibt eine Party im Garten des ehemals besetzten Hauses, das heute irgendwo im Bermudadreieck zwischen Wohnkollektiv und Bausparvertrag unterwegs ist.

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Jetzt ist aber schon Sonntag, ich habe das Leergut eingesammelt und die Theatergruppe macht sich im Hinterhof breit um, nun ja, Theater zu machen.

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Ansonsten bin ich mal wieder leicht reizüberflutet und will mich kurz fassen:

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Berlin Berlin Berlin, U-Bahn Krach Autos, bunt grau bunt, Penner Hipster Espressomaschine. Lotte Ingo Toby, Kinder Kinder Kinder. All ihr anderen Ungenannten, die mich zum Lachen und Nachdenken gebracht haben. Und einsame Schuhe.

Danke.

Hipster-Ablage

Hallo Festland, da bin ich wieder, auf meiner Mission zur Rettung der Welt via vier Tage Love, Peace und Dixiklo.

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Erste Zwischenstation: Hamburg, die Fähre legt um halb neun abends an und ich dachte eigentlich, ich dödel hier ein wenig herum und gehe spazieren, bis um sechs Uhr morgens mein Zug fährt.

Es regnet in Strömen. Das Gepäck ist schon im Schließfach, also falle ich gegenüber durch die Tür der nächsten Next-Generation-Jugendherberge.

Manche Autos haben immer noch eine Hutablage, Hamburg hat eine Hipster-Ablage. Gleich am Bahnhof. Die Zimmerbuchung läuft ungefähr so wie das Ordern des Dingsbums-Menüs bei McD**f. Zack. Multinationale Spätpubertierende torkeln durch die Flure auf dem Weg zu der nächsten angesagten Elbmetropolenparty. Die Zimmertür fällt hinter mir ins Schloß: Stille. Ähhh?

Check: Tür auf = Gröhl, Tür zu = Stille

Irgendein Inneneinrichter hat wirklich seine Hausaufgaben gemacht.

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Ok, ok, Spaßkommando, da kann ich ja voller Altersmilde darüber hinwegsehen. Und sonst? Das Badezimmer gibt dem Begriff “Naßzelle” eine neue Bedeutung. Wahrscheinlich das, was man in den neuen A380ern der Air Ölscheich in der Sultanatsklasse hat, minus der vergoldeten Klobrille

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Wie auch immer, draußen regnet es immer noch und hier drinnen nicht. Cool.

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Wenn dann noch jemand in der Lobby die Beschallung auf Teenieklamottenladen-Bumbum-Level eine Spur runter drehen könnte? Oder wenigstens was anderes als… Spice Girls, hallo??? Da waren doch eure Gäste (größtenteils) noch nicht geboren ;-} . Dementsprechend ist die Stimmung in der eingebauten Disco (die morgens der Breakfast Club ist) etwas lame. Mädels, die aus schierem Männermangel miteinander tanzen? Gibts auf Helgoland nicht.

Dafür ist das WLAN nicht übermäßig proxyverquengelt, das ist ja auch schon mal was.

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Dann gehe ich noch mal kurz um den Block, betrachte die Alternativen.

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Ok, ich mecker nicht mehr!

Gegendarstellung

Gestern hatte ich über Energiegewinnung, Nachhaltigkeit und ökologische Widersprüche auf dem Felsen geschrieben. Alles gar nicht wahr. Fast, jedenfalls. Die Gemeindeverwaltung hat eine Kampagne zur Ausrottung der Dämlichen Plastiktüte™ gestartet.

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Für nur einen Euro kann jetzt jeder auch hier die Welt retten. Poesie gibts gratis dazu.

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Und es stimmt: Wenn man am Lummenfelsen etwas genauer hinsieht, merkt man, daß die Nester der Seevögel zu einem guten Teil aus den ungezählten Fantastillionen von Polyester- und Polypropylen-Fasern gebaut sind, die auch in der Nordsee herumschwimmen.

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Auch wenn diese Fasern durch UV-Strahlung so stark versprödet sind, daß sie sich vom Schiffstauwerk ablösen, können sie immer noch eine tödliche Schlinge um Kopf oder Fuß der Vögel bilden. Von den noch kleiner zerbrochenen Partikeln, die über Seewürmer und -schnecken in die Nahrungskette gelangen, mal ganz zu schweigen. Lecker :-( .

Heile Welt

Der Lieferservice bringt eine Pappe Dosenbölkstoff und wenn man abends nach Hause kommt, steht das Zeugs immer noch da.

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Ich weiß, das beweist eigentlich nix. Aber trotzdem denke ich daran, wie ich beim vorletzten Festlandsbesuch im Cuxhavener Bahnhof mal kurz in den Kiosk ging und mir plötzlich heiß und kalt einfiel, daß ich meinen Rucksack mit allen möglichen Kronjuwelen draußen am Bahnsteig hatte stehen lassen. Nix passiert, uff.

H-Kennzeichen

Nein, es ist nicht die originale Bremer Kogge aus dem Jahr 1380. Die hatte noch keinen Flautenschieber, der gelegentlich mal mit Schiffsdiesel betankt werden muß.

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Aber die “Ubena von Bremen” hat jetzt immerhin 25 Jahre auf dem Buckel und trotz allem modernen Schnickschnack ;-) gibt sie schon einen ganz guten Eindruck, wie man vor 600 Jahren als Handelskapitän in der deutschen Bucht unterwegs war.

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Energie

Bis zum Jahr 2009 wurde die Energieversorgung des Felsens von zwei riesigen Dieselgeneratoren sichergestellt. Ja, auch alle unsere Elektrovehikel waren im Grunde Dieselfahrzeuge. Deswegen ist Helgoland auch eine Insel mit Tankstutzen.

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Seit sechs Jahren bringt das Helgoland-Kabel Elektrizität aus dem Festlandsnetz (und eine Menge Glasfaser-Connectivity) zu uns. Der Strom aus den Windparks wird hier wohl nie direkt ankommen, weil die Umwandlertechnik für die Energieübertragung vom Windpark zum Festland so aufwändig ist, daß sich eine Abzweigung für unsere winzige Insel nie lohnen wird.

In den 90ern gab es für kurze Zeit eine eigene Windturbine im Südhafen. Aber der GROWIAN 2 ist für Windenergie-Ingenieure heute vor Allem deswegen wertvoll, weil er gezeigt hat, wie es nicht funktioniert. Nach fünf Jahren und mehreren wirtschaftlichen Totalschäden wurde die Anlage wieder demontiert.

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Eine Ausnahme stellt das Gästehaus der Biologischen Forschungsanstalt im Nord-Ost-Gelände dar. Die haben sich eine eigene Miniturbine aufs Dach gesetzt, einen Darrieus-Helix-Hybriden, der nahezu geräuschlos läuft.

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Trotzdem gibt es noch genug ungelöste ökologische Widersprüche. Die Aufbau-Architektur der 60er-Jahre ist ein ziemliches Energiesieb und die Wärmedämmungs-Nachrüstung wie auf dem Festland wurde aus denkmalpflegerischen Gründen für einige Jahre gestoppt. Im Südhafen-Gebiet haben viele Häuser elektrische Heizkörper, die aus der 230-Volt-Steckdose (!) gespeist werden.

A propos Dose: Ganz zu schweigen von etwa 100 Tonnen pfandfreier Getränkedosen aus den Duty-Free-Läden, die die Inselfrachter pro Jahr zwischen Insel und Festland hin- und herschippern. In Kanada kriegt man dafür zwar 20 Cent Pfand, aber die meisten Besucher und Bewohner fahren gerade nicht nach Quebec und der ganze Kram landet bestenfalls in der gelben Mülltüte.

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Die ersten Berichte des griechischen Forschungsreisenden Pytheas von Massilia im dritten Jahrhundert vor Christus erzählen übrigens von einer merkwürdigen Insel im Nordmeer, auf der die Bewohner in Ermangelung von Bäumen ihre Herdfeuer mit Bernstein speisen. Im Prinzip geht das, wäre aber heute ein etwas kostspieliger Brennstoff ;-).

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Kinderkaufladen

An der Siemens-Terrasse im Unterland steht ein kleiner roter Tisch mit bemalten Kieselsteinen und Feuersteinen. Die haben zwei Inselkinder gemacht bzw. gesammelt. Daneben steht eine Spardose und der Rest ist Selbstbedienung. Keiner klaut die Spardose und ich vermute aus schierem Optimismus, daß auch niemand Steine mitnimmt, ohne zu bezahlen.

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Cool. Count me in ;-).